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Karlsruhe, 26. Dezember 2024: Zum 15. Mal öffnet sich in diesem Winter der rote Vorhang für den Karlsruher Weihnachtscircus von Joachim und Rosemarie Sperlich und ihren erwachsenen Kindern. Längst ist die Produktion aus dem Veranstaltungsprogramm der drittgrößten Stadt in Baden-Württemberg nicht mehr wegzudenken. Und die Direktionsfamilie selbst auch nicht. Vielmehr hat sie für diese Saison expandiert. Direkt neben den rot-gelben Zeltanlagen ist erstmals der brandneue, weiße „Fächerpalast“ aufgeschlagen, in dem zusätzlich eine Dinnershow präsentiert wird. Doch bleiben wir beim Weihnachtscircus.

Der ist für uns nur echt mit der Eisenbahn im großen Opening und viel Las-Vegas-Flair – mit den beiden beleuchteten Showtreppen links und rechts des Artisteneingangs, den sechs Tänzerinnen des Shad Performance Showballetts, dem achtköpfigen Orchester unter der Leitung von Andrey Parfonov und strahlendem Licht aus dem Hause Flashlight Showtec.


Opening, Sofiia Latiuk, Johnny Mentero

Die Eisenbahn trägt wie gewohnt den Weihnachtsmann im Rentierschlitten auf ihrem Dach, und aus den Waggons winken viele Mitglieder des großen Ensembles. Dazu tanzt das Ballett in kecken Weihnachtsfrau-Kostümen, und die sowohl ausstrahlungs- als auch stimmstarke, seit Jahren bewährte Sängerin Karen McDawn empfängt uns mit heißem Rock’n‘Roll. Stimmungsvoll wird es gleich bei der Tuchakrobatik von Sofiia Latiuk, zu der sie von einem geflügelten Pferd aus startet, begleitet vom live gesungenen Lady-Gaga-Hit „Hold my Hand“. Die umfangreiche Trickfolge umfasst Abfaller, Abwickler, Kreiseldrehungen auch kopfüber, Spagat zwischen den Tüchern und anderes mehr. Auf die bezaubernde junge Dame folgt ein Herr, der sich in ironischer Weise als Angebertyp und vermeintlicher „Latin Lover“ präsentiert, umworben von den Damen des Balletts. So ist seine Cyrrad-Nummer immerhin originell aufgemacht, auch wenn wir seine Drehungen und Wendungen als nicht sonderlich stark empfinden. Er tritt hier unter dem Namen Johnny Mentero auf; im Saisonbetrieb „Zirkus des Horrors“ der Familie Sperlich war der Künstler noch unter dem Namen Johnny Cognetti vertreten.


Joakim, Claudia Rapolli, Merrylu Casselly

Eine große Freude ist das Wiedersehen mit den originellen und sympathischen Clowns Bonbon und Tiina mit ihren beiden erwachsenen Kindern Julia und Joakim. Ihre witzigen Szenen sind überaus kreativ gestaltet und kommen ganz ohne Publikumsbeteiligung aus. In der ersten Reprise wird ein entlaufener Gorilla gejagt. Zwischendurch hat Joakim Oberwasser und reitet im Safari-Look auf dem Rücken der Tierfigur; später gerät Bonbon selbst in einen von dem Menschenaffen getragenen Käfig. Ein artistisches Ausrufezeichen setzt Claudia Rapolli auf dem Drahtseil. Die 14-jährige Nachwuchsartistin – frisch preisgekrönt beim European Youth Circus in Wiesbaden – gefällt nicht nur mit ihrem überaus liebenswerten Auftreten und sichtbarer Freude am Tun, sondern auch mit einem starken Repertoire. Dazu gehören beispielsweise eine Art Rad, das vorwärts und sogar rückwärts geschlagen wird, Spagat, Pirouetten und der Sprung durch einen brennenden, mit Messern gespickten Reifen. Mit einem Country-Song und dem Ballett als Cowgirls wird die Bettpferd-Nummer von Merrylu Casselly eingeleitet. In bekannter Weise soll Cyrano eine Hürde überwinden, was letztendlich nur seine Trainerin selbst tut. Bevor es zum Schlafen geht, soll das Ross ordnungsgemäß gewaschen werden. Allerdings wird Cyrano in der „Pferdewaschanlage“ zu heiß gebadet und läuft scheinbar zum Minipony ein, das sich dann ins gemachte Bett legt und sich die Decke überzieht. Auf diesen heiteren Moment folgt eine Freiheit mit nun fünf Ponys, die von Merrylu Casselly auf charmante Weise vorgestellt werden. Sie absolvieren Lauffiguren, drehen sich auf Postamenten oder laufen zwischen den Beinen der Vorführerin hindurch.


Bonbon und Tiina, Duo Rapolli, Truppe Banquinbar

Tiina baut mit Julia und Joakim das Netz auf, in das Bonbon als „menschliche Kanonenkugel“ befördert werden soll. Obwohl das Kanonenrohr mit reichlich Schießpulver gestopft wird, geht die amüsante Szene natürlich anders aus als avisiert. Wenn Helena Rapolli mit Keulen jongliert, steht Ehemann Antonin hinter ihr und greift effektvoll in die Wurfmuster ein, ohne dass eines der Requisiten zu Boden geht. Im Solo sendet er bis zu fünf schwarze Fußbälle in die Luft und fängt sie wieder. Stürmisch wird der Applaus, wenn Helena von den Schultern auf den Kopf ihres Partners steigt, während beide mit Keulen jonglieren. Die sich dramatisch steigernde Musikbegleitung und ein effektvoll verkaufter Scheinsturz tragen enorm zur Wirkung bei. Die kolumbianische Truppe Banquinbar – fünf Herren in Kostümen in leuchtendem rot, blau und gelb – sowie eine Dame – präsentiert Handvoltigen mit Salto bis ins Drei-Personen-Hoch.


Bonbon, Avital und Jochen Pöschko, Merrylu Casselly und Siegfried Sperlich

Für Heiterkeit sorgt nochmals Bonbon mit einer „Dressurnummer“ der besonderen Art: Seine freundliche Schildkrötenfigur möchte er zu einem Sprung durch einen Feuerreifen animieren, doch das ferngesteuerte, voll bewegliche „Tier“ quittiert dies nur mit einem Kopfschütteln. Zudem eignet sich ihr Panzer wunderbar, um darauf Xylophon zu spielen. Dies lockt eine weitere Schildkröte an, die wir als „Rapperin“ erleben. Vor der Pause richtig platziert ist die spektakuläre Schwungtrapez-Nummer von Avital und Jochen Pöschko. In weiten, raumgreifen Flügen schwingen beide durch die Zeltkuppel, zeigen schwierige Hand- und Fußwechsel und beeindrucken, wenn die Partnerin nach einem Sprung nur Bein-an-Bein gefangen wird. Mit einem Rückwärtsalto von der Trapezstange, nach dem Jochen Pöschko seine Frau an den Beinen wieder fängt, findet die Darbietung ihren Abschluss. Zum Beginn des zweiten Programmteils überraschen Siegfried Sperlich und seine Lebensgefährtin Merrylu Casselly mit einer neuen, im spanischen Stil gestalteten Darbietung. Dabei reitet er im schwarzen Livree mit goldenen Verzierungen die Hohe Schule, während sie dazu im roten Kleid tanzt oder das Pferd zu Knicks und Steiger anleitet. Dies alles ist als Lovestory gestaltet, in der die Dame von ihrem Verehrer eine rote Rose überreicht bekommt, und wird wunderbar vom Ballett in ebenfalls roten Kostümen und mit passenden Hüten umrahmt.


Bonbon und Tiina, Cesar Pindo, Azizov und Makhmudov

Was sich besonders mit den Namen von Bonbon und Tiina verbindet, das ist natürlich ihr berühmtes Federball-Entree. Nachdem Bonbon sich einen kräftigen Schluck „Zaubertrank“ gönnt, gewinnt das witzige sportliche Match der beiden deutlich an Fahrt. Ein weiteres bekanntes Gesicht, besonders dank seiner Engagements im Zirkus Charles Knie, ist Extrem-Klischnigger Cesar Pindo. Neu für uns hingegen ist sein Auftreten im Indianer-Sytyle. Zunächst sorgen seine Verrenkungen noch für hörbares Amüsement, dann zunehmend auch für ungläubiges Raunen und manches Schaudern. Denn der Ecuadrioner faltet seinen Körper so kompakt zusammen, dass er in eine kleine, gläserne Kiste passt. Darin verharrt er lange Sekunden. Partnerakrobatik zu krachender Rockmusik, vorwiegend Hand-auf-Hand und Hand-auf-Kopf, haben die beiden Usbeken Azizov und Makhmudov mit nach Karlsruhe gebracht. Sie arbeiten in schwarzen Hosen und weißen Hemden mit Hosenträgern. Zum Abschluss wagt der Obermann einen Pirouettesprung von den Händen zu den Händen des Partners.


Truppe Banquinbar, Fly Diggerz, Finale

Nochmal stellt sich die Truppe Banquinbar vor, nunmehr am Russischen Barren. Zwei Mitglieder agieren als Untermänner, die beiden anderen Herren sowie die Dame als Flieger. Insgesamt werden für unseren Geschmack nur einige wenige Tricks und dafür viel Tanz dazwischen geboten, auch wenn der abschließende Doppelsalto mit Pirouette natürlich eindrucksvoll ist. Quasi schockverliebt waren wir, als wir vor zwei Jahren im Offenburger Weihnachtscircus erstmals die fantastische Nummer der „Fly Diggerz“ aus Japan erleben durften. Mit fünf Jungs und einem Mädel ist die Formation nun nach Karlsruhe gereist. „Double Dutch“ nennt sich die von ihnen beherrschte Seilspring-Technik, bei der zumeist zwei Seile gegenläufig gedreht werden – teils so schnell, dass das Auge kaum folgen kann. Und dies, während die übrigen Akteure hindurch springen, tanzen und Salti schlagen. Im fliegenden Wechsel lösen die Artisten sich beim Seildrehen und Springen ab. Groß zelebriert wird nochmals das Finale, mit Sängerin Karen McDawn in einem weißen Kleid mit weit ausladender Schleppe und den sechs Tänzerinnen in jeweils andersfarbigen, edel beleuchteten Federkostümen. Die Abschiedsworte spricht Moderator Giovanni Biasini im eleganten weißen Anzug. Gemeinsam mit Direktionstochter Monika Sperlich hat er auch wieder Regie geführt.

Diese Produktion bietet insbesondere ein freudiges Wiedersehen mit bekannten Circusstars, aber auch einige Neuentdeckungen in einem jederzeit unterhaltsamen Programm. Für uns ist die 15. Auflage des Karlsruher Weihnachtscircus auch die gelungenste der jüngeren Vergangenheit. Dass nun auf dem Messplatz zusätzlich noch die Dinnershow im Fächerpalast gezeigt werden kann, belegt zudem die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen der Direktion sowie ihrem Manager Kevin Leppien und dem städtischen Marktamt. Auch wenn nun zwei Produktionen in Karlsruhe gestemmt werden müssen, ist dies gewiss nicht auf Kosten des Weihnachtscircus gegangen.

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Text: Markus Moll; Fotos: Tobias Moll