„Von großen Erfolgen und
bitteren Niederlagen“ ist ein ausführlicher Beitrag im aktuellen
Programmheft beschrieben, der die Geschichte des Offenburger
Weihnachtscircus nachzeichnet, ohne etwas zu beschönigen. Es
habe Jahre gedauert und einen „richtig dicken Haufen Geld"
gekostet, den Offenburger Weihnachtscircus nach der Ära
Oschkinat wieder in wirtschaftlich erfolgreiches Fahrwasser zu
bringen. Dafür verantwortlich zeichnen nicht nur Sascha Melnjak, sondern auch sein Produktionsteam für Offenburg, Dieter
Seeger, Thorsten Brandstätter und Holger Fischer. Gespielt wird
in den weihnachtlich geschmückten Zeltanlagen des
Tourneebetriebs, die umfangreiche Restauration steht hier unter der
Verantwortung von Tom Dieck jun. und Ehefrau Elena La Porta
Dieck. Und die einzelnen Darbietungen hat Marek Jama als
Regisseur zu einer glanzvollen Show geformt.
  
Sascha Thanner, Liudmila Vrinceanu, Sandy Giannuzzi
Als „verspäteter Gast“ geht zunächst Boris Nikishkin durch
Publikum, treibt erste Späße mit Popcorn und fordert Applaus.
In seinem Kurzarmhemd im Zebralook, in schwarzer Hose sowie mit Mütze
und Socken in Mintgrün, aber ohne Clownsschminke verkörpert er
den Typ eines modernen Komikers. Nach diesem Prolog
folgt das große Opening – wir erfreuen uns an den vier Tänzerinnen der La Bouche
Showgirls in prächtigen Federschmuck-Kostümen, Live-Musik des
Orchesters von Krzysztof Majewski und der Begrüßung durch Sascha
Thanner, der gewohnt charmant und in wechselnden Kostümen durchs
Programm führt. Insgesamt drei Darbietungen steuert die
italienische Familie Giannuzzi zum Programm bei. Den Beginn
macht Sandy Giannuzzi mit ihrer klassisch schönen
Kontorsionsnummer. Zunächst schwebt sie in einem großen
Weihnachtsstern sitzend von der Kuppel herunter. Begleitet von
Liudmila Vrinceanu als Sängerin in einem atemberaubend schönen,
roten Kleid, beweist sie mit sympathischem Lächeln die enorme Biegsamkeit ihres Körpers.
Mit den Füßen setzt sie sich einen Hut auf den Kopf und löst
treffsicher einen Bogenschuss auf einen Luftballon aus.
 
Haribow, Darix Giannuzzi
Offenbar kurzfristig noch ins Programm genommen wurde die
japanische Truppe Haribow mit Seilspringen in rasanter
Double-Dutch-Technik, also mit zwei sich gegenläufig drehenden
Seilen. Das ist etwas überraschend, da dieses Genre erst zwei
Winter zuvor mit den Fly Diggerz, ebenfalls aus Japan, vertreten
war. Die drei Mädels und zwei Jungs tanzen und springen über
die Seile, dies auch mit Salti, während die mitreißende musikalische
Begleitung im Jukebox-Style immer wieder wechselt, von Hip Hop
bis Ed Sheeran. Ganz klassisch wird es dann wieder beim Auftritt
von Darix Giannuzzi am Washington-Trapez. Im stilvollen Anzug
mit Weste wagt er sich auf das Requisit und legt im Kopfstand
das Sakko ab. Stehend bzw. in einer Art Ausfallschritt bewegt er
die Trapezstange in seitliche Schwingung; später schwebt er im
Kopfstand, während er das Trapez gleichzeitig in Drehung und
Schwingung versetzt. Eine Longe sichert ihn vernünftigerweise
ab.
 
Boris Nikishkin, Sacha Houcke jun.
Als Vorführer und Dresseur von Elefanten, Exoten und Pferden
im wunderbaren Circus Barum war Sacha Houcke jun. vor vier
Jahrzehnten ein Idol meiner Kindheit. Nun ist er ein
Grandseigneur der Manege und präsentiert hier sechs Pferde in
Freiheitsdressur, jeweils drei schwarze und drei Schimmel.
Per Headset macht er uns zunächst mit jedem einzelnen Ross und
seinen individuellen Charakter bekannt, ehe sich ein Potpourri
klassischer Lauffiguren und Steiger anschließt.
Als Boris Nikishkins CD-Player defekt erscheint, holt er einen
Zuschauer in die Manege. Dieser soll sich als Beatboxer und im
Breakdance-Battle mit dem Clown versuchen, sehr zum Vergnügen
des übrigen Publikums.
  
Devin de Bianchi,
Boris Nikishkin,
Dezhou Acrobatic Troupe
Bestens bekannt aus dem Saisonprogramm
des Zirkus Charles Knie ist Devin de Bianchi mit
seiner Handstandartistik, die sich durch saubere, präzise und fließende
Bewegungen auszeichnet. Dabei arbeitet er in Gestalt eines
Römers der Antike auf einem passenden Sockel. Der effektvolle
Abschluss findet auf einem einzelnen, in die Höhe fahrenden
Handstab statt. Im Sinne einer echten Reprise greift Boris Nikishkin das Thema der vorangegangenen Darbietung auf. Er
amüsiert uns als eitler Handstandartist, der nur via Seilzug am
Fuß in seine eleganten Positionen gehievt wird, dabei allerhand
Überraschungen erlebt und alles tut, damit sein Schwindel nicht
auffliegt. Erst gegen Ende beweist er, dass er das
Handstand-Metier tatsächlich hervorragend beherrscht. Die vier Damen und neun
Herren der Dezhou Acrobatic Troupe waren im vergangenen Winter
die fernöstliche Überraschung im Heilbronner Weihnachtscircus. Auch hier erleben wir sie zunächst in
einer maritimen Szene mit springenden Fischen; die blauen
Kostüme der Herren lassen uns an geschuppte Meeresbewohner
denken. Dabei kommen die hervorragenden Leistungen beim
Reifenspringen nicht zu kurz, dies auch in beeindruckend großer Höhe.

Familie Giannuzzi
Wer nun bereits mit der Pause rechnet, wird mit einer
weiteren Attraktion überrascht. Die Familie Giannuzzi – Nancy,
Sandy, Darix, Ronald und Terence – unterhält uns mit ihrer rasanten
Rollschuhnummer. Neben Tricks, die wir von den zahlreichen
Duo-Nummern des Genres kennen, macht die Besetzung im Quintett
auch andere Abläufe möglich. Etwa dann, wenn Terence und Darix
mit jeweils einer Hand Nancy halten und diese so durch die Luft
wirbeln. Besonders spektakulär ist der Schlusstrick, bei dem
sich beide Damen im Genickhangwirbel drehen, dies an einem
Metallgestell, welches Terence und Ronald auf ihren Schultern
tragen. In der vergangenen Sommersaison hat die Familie im
Circus-Land in Einbeck bereits Charles-Knie-Erfahrung gesammelt.
Nun wird es tatsächlich Zeit für die Pause, vom Ballett nach
einem kecken Tanz mit beschrifteten Besen angekündigt. Den
mittleren Buchstaben hält Sascha Thanner hoch.
  
Duo Soma, Gaby Dew,
Devin und Davide
Zum Auftakt des zweiten Programmteils empfangen uns wieder die
vier charmanten Tänzerinnen, nun mit den schönen
Schmetterlingskostümen, die wir im vergangenen Winter in
Heilbronn bewundern durften. Eine Neuentdeckung für uns ist das
Duo Soma, das Anfang 2024 in Girona mit Bronze ausgezeichnet
wurde. Tobias Pessanah und Vanessa Martinez haben eine selten
gezeigte Disziplin gewählt, die Percheakrobatik. So trägt der
Argentinier seine Partnerin sicher über eine Leiter, während
diese auf einer hohen Stirnperche balanciert. Außergewöhnlich,
auch außergewöhnlich stark, ist der Schlusstrick, bei dem er
eine Perchestange rotieren lässt und sie sich am oberen Ende in
einem Zopfhangwirbel dreht. Und zu einer Besonderheit, fast
schon einer Rarität ist die nachfolgende
Dressurnummer geworden, denn Gaby Dew stellt uns sechs Lamas in
verschiedenen Lauffiguren vor. Auch heute noch ein schönes,
exotisches Bild. Gemeinsam mit einem Herrn und einer Dame aus
dem Publikum macht Boris Nikishkin Musik. Er an der Gitarre,
der Mitspieler an der Triangel und die Mitspielerin mit ihrer
Stimme sind mit Feuereifer dabei und haben offenkundig Freude
daran. Der kreative Komiker hatte bisher bei jedem Engagement,
bei dem wir ihn erleben durften, auch Neues parat – so wie eben
diese Szene. Gute Bekannte sind inzwischen Devin de Bianchi und
sein Verlobter Davide de Carta. An den Strapaten zelebrieren die
beiden Italiener ihre Kunst in weißen Hosen und zu dramatischer
Musik. Sie umkreisen sich zu Beginn kraftvoll, während Davide
später meist die tragende Rolle übernimmt. Der Auftritt gipfelt
in Devins Wirbel kopfüber, bei dem Davide ihn mit der Schlaufe im
Genick hält.
 
Duo Resurrection,
Dezhou Acrobatic Troupe
Mit einem frivolen Auftritt als „Bunnies“ leitet
das Ballett über zum Auftritt des Duo Resurrection aus Kuba.
Maylin und ihrer Partner Yasmany kombinieren ihren sinnlichen,
ausdrucksstarken Tanz mit einigen Elementen der Partner- und
Wurfakrobatik, beispielsweise dem einarmigen Handstand auf dem
Kopf des Partners. Beim Circusfestival von Latina 2022 war dies
der Jury einen bronzenen Preis wert. Zum Abschluss begeistert
uns nochmal die Dezhou Acrobatic Troupe, nunmehr mit
Diabolospielen in einer ganz großen Choreographie. Mal stehen
fünf Jungs nebeneinander und geben ein Diabolo von Schnur zu
Schnur weiter; mal lässt ein Damen-Quintett fünf der Doppelkegel
synchron tanzen; mal gibt es Passagen für Solisten, dies in
Kombination mit Salti und Pirouetten. Und dies alles in schönen,
hochwertigen Kostümen und vor verschiebbaren Kulissen, die viel
asiatisches Flair nach Baden bringen – und im Rahmen der
Charles-Knie-Tournee 2025 dann auch in die ganze Republik, von
Nord bis Süd. |