Wie zu
erwarten, müssen wir uns zunächst die Parolen von Tierrechtlern
anhören, die direkt am Frontzaun Aufstellung genommen haben.
Direktor Michael Sperlich nimmt es gelassen. Sein Publikum
ebenso. Die Vorverkaufszahlen liegen schon zu Beginn des
Gastspiels weit über denen des Vorjahres, Zuschauer rufen an, um
sich zu vergewissern, dass auch wirklich Elefanten zu sehen
sind. Der Leiter des zuständigen Veterinäramts schildert in einem
Fernsehinterview seinen positiven Eindruck von den Tieren.

Zeltanlagen des Reutlinger Weihnachtscircus
Und so ist
auch das festlich geschmückte Vorzelt voller Menschen, die sich
vor der Vorstellung kulinarische Genüsse gönnen. Das Angebot ist
umfangreich, der Service freundlich und zuvorkommend. Das Zelt
für die Gastronomie wurde im letzten Jahr neu angeschafft,
genauso wie das Chapiteau. Dort warten Stühle in der Loge und
Schalensitze auf dem Gradin auf die Gäste. In dieser Saison
hinzugekommen ist ein neuer Artisteneingang. Er ist sehr hoch,
sodass auch die Motorradkugel ohne Probleme hereingerollt werden
kann. Gebildet wird er aus roten Stoffbahnen im oberen Bereich
und langen Vorhängen in der gleichen Farbe. Dahinter befindet
sich ein weiterer Vorhang mit kleinen Lichtern, die immer dann
sichtbar werden, wenn sich die Gardine öffnet.
  
Timo
Marc, Duo Reflection, Fatime Horvath
Gefertigt
hat ihn Yana Grimm, die wir gleich zum Auftakt in der Manege
erleben. Gemeinsam mit drei weiteren Tänzerinnen und Sängerin
Sandy Müller gestaltet sie das weihnachtliche Intro zum Opening.
Danach strömt das gesamte Ensemble in die Manege, um das Publikum
zu begrüßen. Illusionist Timo Marc führt uns wiederum als
Moderator durchs Programm. In seine kurzen Auftritte baut er
gerne Zaubertricks ein, die er mit einzelnen Zuschauern zeigt.
Luftakrobatik an den Ringen ist das Metier des Duo Reflection.
Die Artisten mit den muskulösen Körpern gewinnen diesem selten
zu sehenden Requisit spannende Facetten ab. Ihre Tricks
erfordern viel Kraft und gegenseitiges Vertrauen. Etwa wenn
einer der beiden die Bänder mit den Ringen, an denen der Partner
mit ausgestreckten Armen hängt, mit den Zähnen hält.
Wunderschöne Hauskatzen hat Fatime Horvath mit nach Reutlingen
gebracht. Die Vierbeiner beherrschen anspruchsvolle Kunststücke
wie das Überwinden von Hindernissen und extrem weite Sprünge.
Während Fatime für eine elegante Präsentation steht, sorgt ihr
Mann Plamen für die originellen Momente in der Darbietung. Etwa
wenn er als lebendes Podest bei den Sprüngen der Katzen
herhalten muss.
  
Daler
Khametov, Plamen Metodiev, Pasha
Nach dem
nächsten Auftritt von Sängerin und Ballett geht es für Daler
Khametov hoch hinaus. 16 Jahre jung ist der Artist, der seine
Balancen auf der Rola Rola in respektabler Höhe arbeitet. Denn
die zugehörige Plattform befindet sich einige Meter über der
Manege. Das Konstrukt erleichtert es nicht gerade, sich auf
Türmen aus Röhren, Bällen und Brettern im Gleichgewicht zu
halten. Der Teenager meistert diese Herausforderung spielend.
Weniger souverän bewegt sich Plamen Metodiev auf Trampolin und
Sprungturm. Das ist natürlich so gewollt und alles perfekt
einstudiert. Denn ohne eine ausgeprägte Körperbeherrschung wären
die Kapriolen nicht möglich. Wie schon bei der Vorführung der
Katzen kann der Ungar hier sein komisches Talent ausleben. Nach
den ersten Gags und Sprüngen wagt er einen Striptease. In
einem gestreiften Badeanzug geht es auf zu weiteren Salti.
Nachdem Timo Marc im Zusammenspiel mit einer Zuschauerin einen
Hocker schweben ließ, dürfen die Clowns erstmals ihre
Visitenkarte abgeben. Pasha und Morris sind zwei liebenswürdige
Zeitgenossen, die es faustdick hinter den Ohren haben. Jetzt
versuchen sie sich als Piloten von Papierfliegern. Ihre
neuartigen Ideen spielen sie äußerst gewinnend. Heiterkeit ist
somit garantiert.
  
Truppe
Hametov, Sandy Müller, Flying Henriquez
In die
Pause geht es mit der Truppe Hametov. Aufgrund des Apparats für
das Flugtrapez mussten die Artisten aus Usbekistan ihr Hochseil
etwas tiefer spannen als sie es gewohnt sind. Dafür wurden extra
die Masten mit den Plattformen verkürzt. Spektakulär ist der
Auftritt der zwei Damen und drei Herren aber natürlich dennoch.
Denn Kostüme und Trickfolge sind außergewöhnlich, zudem arbeiten
sie ohne Luftkissen oder Matte am Boden. Einzelne Akteure werden
aber mittels Longe gesichert. Dank der prächtigen Kostüme
entführen sie uns optisch nach Ägypten. Bei der Tour im
Zwei-Personen-Hoch steht die Partnerin entgegen der Laufrichtung
auf dem Kopf des Porteurs. Weiter erleben wir eine besondere
Variante der Dreierpyramide, bei der die Dame in der oberen Etage
einen Spagat zwischen den Köpfen ihrer Träger macht. Ebenfalls
dabei ist der Lauf von drei Artisten übereinander. Den
Schlusspunkt setzt eine Pyramide mit Verbindungsstange. Darauf
ein Artist, der wiederum eine Kollegin auf dem Kopf balanciert.
Zum zweiten Programmteil begrüßen uns Sandy Müller und
Tänzerinnen in weihnachtlicher Aufmachung. Drei Fliegerinnen,
zwei Flieger und ein Fänger bilden die Flying Henriquez. Los
geht es auf drei Bahnen, wobei nur eine mit einem Fänger besetzt
ist, die anderen mit frei hängenden Trapezen. Danach erleben wir
ein ausführliches Repertoire mit Dreifachem und Passage. Dazu
macht das Sextett aus Chile ordentlich Stimmung.
  
Truppe
Hametov, Hell Riders, Ballett
Mit
Stangenwurf versuchen sich Pasha und Morris in ihrem zweiten
Auftritt. Da ihre Stange aus sehr biegsamem Material besteht,
wird es auch unter Zuhilfenahme eines Zuschauers nichts mit den
Luftsprüngen. Dafür verbreiten sie wieder das, was ihr
eigentlicher Job ist – jede Menge Spaß. Extra für das Engagement
in Reutlingen hat die Truppe Hametov eine Darbietung an zwei
Leitern mit kleiner Plattform am oberen Ende einstudiert.
Darüber balancieren sich die Artisten gegenseitig in den
unglaublichsten Varianten. Etwa im Kopf-auf-Kopf oder auf den
Zehenspitzen eines Fußes auf dem Kopf des Partners stehend. Bei
der letzten Runde trägt ein Artist zwei auf einer Stirnperche
stehende Kollegen über das Konstrukt. Auch hier legt die
Formation aus Usbekistan wieder Wert auf eine prächtige
Aufmachung. Bis zu sechs Motorradfahrer bilden die Sensation vor
dem Finale. Mit ihren Maschinen rasen sie durch einen Globe of
Death mit fünf Metern Durchmesser. Die Hell Riders lassen den
Atem stocken und das Publikum ist froh, wenn alle am Ende wieder
sicher in der Manege stehen. Zum ausgiebigen Abschied erfreuen
uns noch einmal Sandy Müller und die vier Tänzerinnen. Dies in
fantastischen Kostümen, für die Yana Grimm verantwortlich
zeichnet. Das gesamte Ensemble kommt hinzu und schenkt uns noch
einmal große traumhafte Bilder.
 
Elvis
und Cvetomira Kirova Errani
Vor der
Motorradkugel aber das eigentliche Highlight der Show. Elvis und
Cvetomira Kirova Errani präsentieren ihre indischen
Elefantendamen Mala, Baby sowie Yumba. Die Nummer wurde für das
46. Internationale Circusfestival von Monte Carlo neu gestaltet,
wo sie im Januar 2024 einen Goldenen Clown gewann. Statt
spektakulärer Tricks steht jetzt das vertraute Miteinander von
Mensch und Tier im Mittelpunkt. Dabei dürfen die Dickhäuter
natürlich weiter ihre Fähigkeiten zeigen. Etwa wenn sie sich
gemeinsamen nebeneinander auf die Seite legen oder wenn einer
der Elefanten Cvetomira auf dem Rüssel trägt. Auch ihr Spagat
zwischen zwei Elefantenköpfen ist im Repertoire, ebenso das
Abliegen eines Tieres auf seiner Trainerin. Alles läuft ruhig
und harmonisch ab. Kostüme und Musik runden den Stil der
Darbietung passend ab. Es ist eine traumhafte Nummer, der man
ewig zuschauen könnte. Und doch kommt der Beigeschmack auf, dass
es das letzte Mal gewesen sein könnte, Elefanten in einer
Circusmanege gesehen zu haben. Sollte dem tatsächlich so sein,
bleiben diese einmaligen Bilder für immer in Erinnerung. |