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Weltweihnachtscircus 2024/25
www.weltweihnachtscircus.de ; 177 Showfotos

Stuttgart, 21. Dezember 2024: Natürlich gab es auch in der Vorbereitung zur aktuellen Ausgabe des Weltweihnachtscircus wieder vollmundige Ankündigungen. Da war die Rede von „einem der größten Circusprogramme, die es je in Stuttgart gab“, von „über 100 Circusstars“ oder einer Anzahl an preisgekrönten Acts, die alle bisherigen Programme überbietet. Müßig, das alles zu überprüfen. Es wird schon stimmen. Zudem ist es auch nur mäßig relevant. Die Zeiten der stumpfen Jagd nach Hochleistungen sind zum Glück auch in Stuttgart lange vorbei.

Der Primus unter den hiesigen Weihnachtscircussen steht inzwischen vielmehr für eine unterhaltsame, ausgewogene Show auf höchstem Niveau. Das ist auch im Jubiläumsjahr nicht anders. Vor 30 Jahren öffnete der Weltweihnachtscircus zum ersten Mal seine Zelte auf dem Cannstatter Wasen. Produzent Henk van der Meijden brachte sein Erfolgsmodell aus dem Amsterdamer Theater Carré nach Stutgart und war von Anfang an erfolgreich. Seitdem durften die Zuschauer in der baden-württembergischen Landeshauptstadt in jedem Winter die Besten der Besten erleben. Viele davon beim letzten Circusfestival in Monte Carlo mit einem Clown ausgezeichnet. Oder aber sie waren auf dem Weg an die Cote d'Azur, um sich dort einen der begehrten Preise zu holen. So wie im vergangenen Winter die Kolev Sisters. Aus der aktuellen Show werden etwa die Flying Caballeros zum wichtigsten aller Circusfestivals reisen und dort mit Sicherheit ganz oben mitspielen.


Eintrittskarte für den Weltweihnachtscircus 1993/94, Finale

Henk van der Meijden kümmert sich nach wie vor selbst um sein Baby. Die eingangs zitierten Highlights stammen aus einem Interview der Stuttgarter Zeitung mit ihm. An seiner Seite ist Ehefrau Monica Strotmann. Doch die nächste Generation ist dabei, zu übernehmen. Tochter Elisa van der Meijden und ihr Ehemann Dalien Cohen komplettieren inzwischen das Team der Produzenten. Cohen hat die Produktionsleitung für den Weltweihnachtscircus inne. Mit seinen 27 Jahren ist er gar jünger als die Veranstaltung selbst.


Björn Gehrmann, Alex Michael, Svetlana Sazonenko

Gleich bei der Eröffnungsparade wird dem Publikum das eindrucksvollen Ensemble vorgestellt. Durch den hohen Artisteneingang strömen alle Mitwirkenden in die Manege. Die Begrüßungsworte übernimmt Björn Gehrmann. Der Ringmaster ist seit der Spielzeit 2017/18 dabei und moderiert die Show gewohnt souverän. Seine Ansagen sind sympathisch, informativ und geraten nie zu lang. Für die musikalische Begleitung zeichnet das Orchester unter der Leitung von Markus Jaichner verantwortlich. Dieses spielt wunderbare Livemusik, so die Artisten nicht auf vorproduzierte Sounds setzen. Die Regie hat einmal mehr Joseph Bouglione übernommen. Das Lichtdesign wurde von Wim Dresens kreiert. Der artistische Auftakt gehört Alex Michael. Ungesichert strapaziert er mit Deckenlauf und Sprüngen von Trapez zu Trapez die Nerven der Zuschauer. Diese dürfen in dieser Saison übrigens auf einem optimierten, kompakteren Gradin Platz nehmen. Der ebenerdige Mitteleingang entfällt, womit noch mehr Plätze mit frontalem Blick auf das Geschehen zur Verfügung stehen. Von dort können die Gäste etwa die folgende Pferdefreiheit von Alex Giona genießen. Mit dezenten Gesten und verbalen Kommandos dirigiert er seine Vierbeiner. Diese bewegen sich wie von Zauberhand gelenkt über das Sägemehl, zeigen Soli und harmonische Bewegungsabläufe in der ganzen Gruppe. Am Ende sind es vier weiße und drei schwarze Pferde. Auf dem mittleren davon reitet Alex Giona, während die anderen rechts und links von ihm gemeinsam mehrere Runden durch die Manege laufen. Wunderschön begleitet werden diese Bilder edler Dressurkunst durch Violinistin Svetlana Sazonenko.


Chistirrin, Duo Solys, Liza Kruitkova

Ebenfalls musikalisch unterwegs ist Chistirrin. Und das mit Posaune, Trompete, Saxofon und Trommel. Der Clown aus Mexiko ist ungeheuer vielseitig, wobei neben seinem musikalischen vor allen Dingen das komische Talent gefragt ist. Mit kindlicher Unbeschwertheit treibt er seine Späße und hat es dabei faustdick hinter den Ohren. Sein gestrenger Gegenspieler hat es alles andere als leicht mit Chistirrin. Vertauschte Rollen machen den besonderen Reiz der Partnerakrobatik des Duo Solys aus. Denn hier übernimmt die Dame den tragenden Part. Tatiana Colaquy trägt Hector Yzquierdo auf den verschiedensten Körperteilen. So stemmt sie ihn etwa mit den Füßen in die Höhe oder hält ihn an einem Arm. Ihr Markenzeichen ist der Trick unter Einbeziehung eines Eiffelturm en miniature. Dieser ruht auf Tatianas Händen und Beinen. Auf der Spitze zeigt Hector einen Kopfstand. Eine quirlige Meute weißer und schwarzer Pudel haben Alex und Romy Jostmann mit an den Neckar gebracht. Die Hunde sind mit vollem Einsatz bei der Sache und warten nur darauf, ihr Können zeigen zu dürfen. So etwa das Springen über Hürden oder durch einen Ring. Einen solchen nutzt auch Liza Kruitkova als Requisit. Doch strenggenommen ist ihr Luftring ein Achteck. Die daran möglichen Kunststücke ähneln sich in beiden Varianten, neue kommen hinzu. Und Liza Kruitkova nutzt die Gesamtheit der Möglichkeiten. Ihre intensive Kür in beträchtlicher Höhe ist ungeheuer vielfältig und leistungsstark. So verblüfft sie etwa mit einem Handstand auf dem oberen Teil des Oktagons oder dem Fersenhang. Dabei ist mehr als nur ein Schuss Risikofreude gefragt.


Maria Sarach, Deadly Games, Nancy Stauberti

Die Aufmachung ihrer Darbietung komplett verändert hat Maria Sarach. Im Saisonprogramm 2023 des Circus-Theaters Roncalli und im Wereldkerstcircus 2023/24 zeigte sie ihre Kombination aus Handstandakrobatik und Kontorsion noch im Stil des niederländischen Malers Piet Mondrian. Nun gibt sie die feine Dame. Ihre Zigarette mit Zigarettenhalter bekommt nach der Eröffnungssequenz Björn Gehrmann in die Hand. Dann begibt sie sich auf die Handstäbe, die Teil eines geschwungenen Gestells sind. Auch in dieser Version überzeugt Maria Sarach mit starker Leistung in origineller Aufmachung. Schlusstrick ist der Zahnstand, bei dem sie die Füße bis unter das Kinn bringt und mit den Händen festhält. Tödliche Spiele, Deadly Games, wagen Alfredo und seine neue Partnerin Coral. Er schnalzt ihr mit der Peitsche eine Blume aus dem Mund, wirft Messer so an ein Brett, dass sie ganz knapp neben ihrem Körper landen und zerschießt mithilfe einer Armbrust einen von ihr gehaltenen Luftballon. Dabei geht es gefühlt noch eine Spur gefährlicher zu als bei den meisten anderen Nummern des Genres. Am Ende steht Coral in einer Art sich drehendem Türrahmen, während in diesem die von Alfredo geworfenen Messer einschlagen. Hoch hinaus geht es für Nancy Stauberti. Dies dank ihres Onkels Dimitri. Das Duo Stauberti führt die Familientradition der Percheakrobatik fort. Dabei kommt die Stirnperche zum Einsatz. Während Nancy oben Hand- und Kopfstände zelebriert, hält Dimitri sie im Gleichgewicht. Dabei steigt er etwa zwei freistehende Leiterhälften hinauf oder fährt Einrad.


Aleksandr Batuev, Flying Caballeros, Wuhan Acrobatic Troupe

Aleksandr Batuev benötigt für seinen Auftritt nur eine Box aus Metall und diese auch nur für seinen Schlusstrick. Ansonsten braucht er seinen Körper, den er auf unglaublichste Weise verbiegt. Der Klischnigger im smarten Businessoutfit scheint wirklich keine Knochen zu haben. Er selbst bleibt ganz cool und faltet sich am Ende so zusammen, dass er komplett in der Kiste verschwindet. Während Svetlana Sazonenko und Weißclown Yann Rossi auf dem Gradin musizieren, wird über der Manege das Sicherheitsnetz für das Fliegende Trapez gespannt, die „große Nummer“ vor der Pause. Dafür sind die Flying Caballeros aus Amerika angereist. Eine Fliegerin, fünf Flieger und ein Fänger brillieren mit schier unglaublichen Leistungen. Quasi zum Warm up gibt es verschiedene Sprünge, die bereits anspruchsvoll sind. Spezialität der Caballero-Familie ist aber der vierfache Salto. Gleich drei Mitglieder springen ihn an diesem Abend – und landen ihn sicher in den Armen des Fängers. Eine absolute Sensation der Circuswelt wird hier gleich in dreifacher Ausfertigung präsentiert. Sollten die Caballeros in Monte Carlo die gleiche Erfolgsquote hinlegen, sollte der Goldene Clown reine Formsache sein. Die silberne Variante konnte sich die Wuhan Acrobatic Troupe im Januar 2024 sichern. Mit ihrer „größten Russischen Schaukel der Welt“ eröffnen deren Mitglieder den zweiten Teil. Schon alleine der Apparat hat enorme Ausmaße. Die Schaukel wird von massiven Stützen gehalten. Von der schwingenden Plattform wagen die Artisten hohe Sprünge, die sie auf einer Matte, wieder auf der Schaukel oder auf den Schultern mehrerer Partner übereinander landen. Am Ende wird oberhalb der Aufhängung der Schaukel eine Plattform montiert, die weitere Tricks erlaubt.


Revolution the Art of Dance, Duo Laos, Yann Rossi

Danach ist es an Chistirrin und Partner, für Entspannung zu sorgen. Das tun sie mit witzigen Jonglagen, bei denen Reifen und Keulen durch die Luft fliegen. Auch Balancen auf einem Einrad sind zu sehen. Bolaspiele größerer Formationen haben in den letzten Jahren eine Renaissance in Circusmanegen erlebt. Mit Revolution the Art of Dance erleben wir in Stuttgart eine rein weibliche Truppe. Neun feurige Argentinierinnen kombinieren den gekonnten Umgang mit den Boleadores mit dem Schlagen von Trommeln sowie Malambo-Tanz. Sie transportieren eine ungeheure Energie, die jeden einzelnen Zuschauer unmittelbar erreicht. Ihr Temperament kennt keine Grenzen und ihre Choreographien sind eine wahre Augenweide. Für die folgende Darbietung bleiben wir in Argentinien. Denn von dort stammt das Duo Laos und im Stil dieses Landes ist die Partnerakrobatik von Mercedes und Pablo choreographiert. Er in schwarz und mit muskulösem Körper, sie in rot und eher zart, aber nicht weniger trainiert. Es ist ein Gegen- und ein Miteinander, in das die beiden sympathischen Artisten viele eigenständige und starke Tricks integrieren. Dann darf Yann Rossi die enorme Bandbreite seiner musikalische Fähigkeiten demonstrieren. Er spielt unter anderem auf der Klarinette, auf verschiedenen Saxofonen, auf einem Xylophon und auf der singenden Säge. Die meisten der Instrumente werden dem Weißclown im prächtigen Kostüm von Chistirrin und Partner gereicht.


Just Two Men, Viktoriia Dziuba, Mooky

Just Two Men nennen sich ganz schlicht Artem Lyubanevych und Oleg Shakirov. Das ist eine sehr bescheidene Beschreibung für zwei Artisten mit Traumkörpern und starken artistischen Fähigkeiten. Diese demonstrieren sie unter der Kuppel an den Strapaten. Spektakulär ist insbesondere der einarmige Handstand von Oleg auf dem Kopf von Artem, während sich dieser im Spagat zwischen den Bändern (unter Zuhilfenahme der Hände) ausbalanciert. Mit Viktoriia Dziuba folgt eine meiner aktuellen Lieblingsnummern. Ihre Equilibristik enthält nicht nur viele innovative, anspruchsvolle Kunststücke und Bewegungsabläufe, sondern wird ungemein ausdrucksstark gearbeitet. Mühelos schafft es die 22-jährige Artistin, den großen Raum zu füllen. Das macht sie ganz ruhig, fast schon introvertiert und doch folgen ihr die Zuschauer gebannt. Weiter geht es mit der nächsten hinreißenden Dame. Mooky ist alles andere als ruhig, vielmehr ist sie herrlich witzig und von ansteckender Fröhlichkeit. Laut Programmheft ist sie der erste weibliche Clown in der Manege des Weltweihnachtscircus. Für eine Szene aus einem Theaterstück sucht sie sich einen Mitspieler aus dem Publikum. Und der hat sogar eine Sprechrolle. Seine Texte serviert ihm Mooky mundgerecht auf kleinen Zetteln. Diese finden sich beispielsweise auf der Schuhsohle oder ihrer Zunge. So entspinnen sich irrwitzige Dialoge. Ein genialer Spaß!


China National Acrobatic Troupe

21 Mitglieder der China National Acrobatic Troupe bestreiten die grandiose Schlussnummer. Was sie auf Fahrrädern zeigen, war so noch nie zu sehen. Absolut innovativ, absolut spektakulär. Da gibt es Fahrten auf zwei Rädern nebeneinander, darauf anspruchsvolle Türme mit mehreren Artisten. Dann fährt ein Pferd aus Metall mit angehängtem Wagen quasi „im Gegenlauf“ zwischen den Fahrrädern hindurch. Bei den Begegnungen erleben wir atemberaubende Sprünge. Anschließend formieren sich unzählige Akrobaten auf jeweils einem Rad. Ein Artist springt von Schulter zu Schulter seiner Kollegen, die hintereinander fahren. Das alles in einer durchgehenden Inszenierung. Auch für die China National Acrobatic Troupe geht es im Anschluss nach Monte Carlo, auch sie werden im Wettbewerb um die Clowns ganz oben mitspielen. Für uns endet der Abend nach rund drei Stunden reiner Spielzeit mit dem großen Finale. Dieses wird nochmal zu einem großen Rausch. Oder vielmehr beendet es diesen. Denn die ganze Show war ein einziger Rausch grandioser Circuskunst.

Was wäre uns alles verwehrt geblieben, hätte nicht Henk van der Meijden im Winter 1993/94 den Weltweihnachtscircus nach Stuttgart gebracht. Unzählige fantastische Stunden mit den jeweils aktuellen Top-Acts der Circuswelt. Vermutlich hätten wir viele davon sonst nie zu Gesicht bekommen. Trotz einer wahren Inflation der Weihnachtscircusse ist diese Produktion weiterhin unerreicht. Sie ist das Maß aller Dinge. Ein solches Premium-Event zu schaffen ist das eine, es über 30 Jahre äußerst lebendig und erfolgreich zu halten, das andere. Beides ist dem Niederländer, seiner Familie und dem ganzen Team gelungen. Umso schöner zu wissen, dass Tochter Elisa und ihr Ehemann mit vollem Enthusiasmus übernehmen. Herzlichen Glückwunsch!

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Text und Fotos: Stefan Gierisch