Auch in diesem Jahr bietet
das Festival wieder eine gelungene Mischung aus bereits
bekannten Gesichter und echten Neuentdeckungen und das eben
auf einem insgesamt sehr hohen artistischen Niveau.
  
Maria Shevchenko,
Angelina Federka & Oleksandra Chala, Johann Prinz
Ein bekanntes Gesicht ist zum
Beispiel Goldgewinnerin Maria Shevchenko. Die 20-Jährige
Ukrainerin erhielt bereits 2019 auf dem Festival in Latina
Silber und war diese Saison mit dem Cirkus Brazil Jack auf
Tournee. In Wiesbaden überzeugt sie nicht nur die Fachjury mit
ihren riskanten Abfallern und Flügen an den Schlaufentüchern.
Auch die Zuschauer sind vollends begeistert, so dass sich
Maria Shevchenko zudem über den Publikumspreis freuen kann.
Das zweite Gold bei den über 18-Jährigen wird an Angelina
Federka & Oleksandra Chala überreicht. Auch sie kommen aus der
Ukraine, leben allerdings nun in Berlin und zeigen eine
gefällige Duo-Kontorsionistik, in welche sie zudem Figuren aus
der Partnerakrobatik einfließen lassen. Auch Silber gibt es
bei den über 18-Jährigen zweimal. Zum einen für Alexandra
Malter mit ihrer Hula-Hoop Nummer in einem reizvollen Kostüm,
welches für ordentlich Gesprächsstoff sorgt. Zum anderen für
Johann Prinz an den Strapaten. Was der Absolvent der Berliner
Artistenschule an den Stoffbändern zeigt, ist ganz große
Klasse. Kraftvoll und von höchster Schwierigkeit!
  
Fleuriane Cornet, Ezra
Veldman, Gerardo Segura Macias
Entspannend und völlig
entschleunigend wirkt hingegen die Fahrraddarbietung von
Fleuriane Cornet. Die Französin gewinnt neben dem Sonderpreis
des Verbandes Deutscher Varieté-Theater völlig zu Recht auch
einen der Hauptpreise und kann sich über Bronze freuen. Auch
die Gewinner der insgesamt neun Sonderpreise sind alle in der
Galashow am Samstag zu erleben. Ezra Veldman macht in der Gala
sowie im Programm A den Anfang. Bis zu vier Diabolos jongliert
der junge Niederländer, welcher im Gegensatz zu den meisten
seiner Konkurrenten nicht auf eine Circusschule ging, sondern
sich alles selbst beibrachte. Während er sich über den
Sonderpreis der Circus-, Varieté- und Artistenfreunde Schweiz
freut, geht der GCD-Sonderpreis an den Spross einer echten
Circusfamilie. Gerardo Segura Macias heißt der Nachwuchs des
spanischen Circus Quiros, der ganz klassisch auf dem Drahtseil
tanzt, inklusive Sprung über eine Barriere, aber ohne Salto.
Auch die italienischen Circusfreunde vergeben ihren Preis mit
der Verleihung an Asia Perris an die klassische Darbietung
eines Circuskindes. Bereits im Winterprogramm des Circus Krone
konnten wir zusehen, wie die 24-jährige Italienerin ihre
Handstände und Kontorsionistikfiguren à la Zalewski drückte.
  
Stefan Dvorak, Daniela Lavina,
Anna Levina
Ein ganz Großer wird bestimmt
mal Stefan Dvorak. Was der 17-jährige Österreicher schon auf
der Rola-Rola kann, ist schier unglaublich und lässt so
manchen Profi alt aussehen. Wenn er das aufgrund des
Sonderpreises versprochene Engagement im Tigerpalast
antritt, muss er allerdings aufgrund der großen Höhe seiner
Türme auf sein Podest verzichten. Handstände sind bei den
unter 18-Jährigen mehrmals vertreten. Aus der Ukraine kommen
die Schwestern Anna und Daniela Levina. Während Daniela für
ihre Handstände auf einer Sanduhr den Sonderpreis von
Recirquel aus den Händen von Kristian Kristof entgegen nehmen
kann, darf sich ihre jüngere Schwester Anna über Bronze
freuen. Keck und kindlich verspielt, springt sie in Zwei- und
Einarmern, zwischen roten Backsteinen, von Stab zu Stab. An
Weihnachten kann man dann die beiden Artistinnen im Ulmer
Weihnachtscircus erleben.
  
Gabriel Dell'Acqua, Sára
Nagyhegyi, Jeka Dehtiarov
Während die beiden Schwestern
auch durch ihre komplett unterschiedlichen Inszenierungen
überzeugen, steht bei Gabriel Dell'Acqua ganz die Leistung im
Vordergrund. Zu pompöser Filmmusik und als kleiner Encho
verkauft, drückt der 13-Jährige Handstände wie ein
Weltmeister. Der Großteil des Publikums erhebt sich bei seinen
Auftritten zu begeisterten Standing Ovations, doch es gibt
auch kritische Stimmen. So darf die Frage gestellt werden, ob
es gesund ist, wenn einem lange noch nicht ausgewachsenen
Jungen solche Höchstleistungen abverlangt werden. Auch die
Frage der Ästhetik, ob es schön ist, einem kleinen Jungen mit
noch recht dünnen Armen minutenlang dabei zuzusehen, wie er
ohne abzusetzen in Handstandpositionen verharrt, beantwortet
hier wohl jeder anders. Überzeugt wird auf jeden Fall die
Jury, welche Gold verleiht. Nicht ganz so spektakulär, aber
nicht minder beeindruckend ist die Luftringnummer von Sára
Nagyhegyi, welche von Publikum und Jury ebenfalls mit Standing
Ovations gefeiert wird. Sehr dynamisch bewegt sich die
17-jährige Ungarin mit ihrem Requisit durch die Luft und
bildet dabei eine harmonische Einheit mit ihrem Luftring.
Immer perfekt abgestimmt auf ihre Musik, Bravo! Ihre ältere
Kollegin Aliz Papdi, ebenfalls von der Budapester
Artistenschule, geht hingegen leer aus, was sicherlich auch
daran liegt, dass sie aufgrund einer Schulterverletzung nicht
alle Tricks ihrer Cyrrad-Darbietung im Flamencostil zeigen
kann. Zumindest technisch gesehen kann Cyrrad-Artist Jeka
Dehtiarov mehr überzeugen, wenn auch hier die sehr moderne,
aber dynamische Inszenierung unterschiedlichen Anklang findet.
Er gewinnt den Sonderpreis der Wiesbadener Kirchen.
  
Charlotte Fischer,
Matthes Speidel, Markian Strotsiak
Bis auf Strapatenkünstler
Johann Prinz fahren die weiteren deutschen Artisten ohne
Preise nach Hause. An der Berliner Artistenschule werden im
nächsten Jahr Charlotte Fischer sowie das Trio Cenzolkas
absolvieren. Erstere zeigt eine Flying-Pole-Darbietung, die
schon einige schöne Tricks beinhaltet, während sich die drei
Jungs zu Rockmusik auf dem koreanischen Schleuderbrett in die
Höhe katapultieren. Wohnhaft in Tübingen und Absolvent aus
Stockholm ist Matthes Speidel, der durchaus ein guter
Keulenjongleur ist, mit dessen moderner Inszenierung aber
nicht jeder etwas anfangen kann. Ein Jongleur auf technisch
ganz hohem Niveau ist der erst 17-jährige Ukrainer Markian
Strotsiak. Dass sein großes Vorbild Antony Gatto ist, erkennt
man bei seinem Zusammenspiel aus Ringen (neun Stück), Keulen
sowie größeren und kleineren Bällen sofort. Für viel
Gesprächsstoff sorgt die Diabolo-Nummer des Finnen Henry
Kangas. Er kommt nicht dazu, viele Tricks zu zeigen, da seine
Diabolos immer wieder in ihre Einzelteile zerfallen. Einen
Preis hätte man durchaus der Polin Nelly Turek-Dmitriev
gegönnt, die an den Strapaten raumfüllend durchs Chapiteau
fliegt. Auch das Trio um Veronika Khistova, Mariia Vorobei und
Ameli Bilyk wäre preisverdächtig gewesen. Die jungen
Ukrainerinnen zeigen auf nur jeweils einem Stab synchron ihre
Handstandfiguren (meist im Einarmer) und halten dabei noch
Hula-Hoop-Reifen mit den Beinen in Bewegung. Leider arbeitet
die Darbietung in beiden Auswahlshows recht unsicher. Bei der
Bekanntgabe der Galateilnehmer entscheidet Johnny Klinke
kurzerhand, dass die Seilspringerinnen des finnischen
Jugendcircus Bravuuri auch an der Gala teilnehmen dürfen. In
einer gelungenen Inszenierung bringen die sechs Artistinnen
viel Tempo in die Show und sorgen für ein raumfüllendes Bild.

Szene aus dem Opening
Über einen Preis kann sich in
der Gala am Samstagabend auch der European Youth Circus
freuen. GCD-Präsident Stefan Nolte überreicht den
Zukunftspreis der Gesellschaft der Circusfreunde an
Kulturamtsleiter Jörg-Uwe Funk. Seit 1992 veranstaltet das
Kulturamt der Landeshauptstadt das Nachwuchsfestival und
leistet damit einen unverzichtbaren Beitrag zur
Nachwuchsförderung in der europäischen Circuswelt. Der Preis
ist daher absolut gerechtfertigt und war vielleicht sogar
längst überfällig. Verpackt sind die einzelnen Vorstellungen
wiederum in fantastische Choreographien, welche die beiden
Programmteile einleiten. Ebenso zum Finale. Die Artisten
treffen sich an einem hübschen Kiosk mit Lichterketten und
feiern ausgelassen gemeinsam. Die Inszenierung liegt bei
Sebastiano Toma. Axel S. übernimmt wiederum die Moderation und
kündigt die Artisten sympathisch an. Dazu gibt es
Filmeinspielungen, in denen sich die jeweils nächste
Darbietung vorstellt. Diese werden auf den Artisteneingang
projiziert. Über dem Vorhang hat die Band ihren Platz. Leider
lassen sich nur wenige Nummern live begleiten. So bleibt den
Musikern vor allen Dingen das Spiel zu den Ensembleszenen. |