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Cirque d'Hiver Bouglione 2019/20

www.cirquedhiver.com
; 196 Showfotos

Paris, 30. November 2019: Die Produktion 2019/20 im Cirque d'Hiver steht unter dem Titel „Défi“. Übersetzt bedeutet dies Herausforderung oder auch Kampfansage. Das Plakatmotiv transportiert den Titel mit einem Bild des Circusbaus, der sich in Form eines historischen Schlachtschiffs seinen Weg durch die Seine bahnt. An Deck und an den Segeln sieht man die Artisten. Aus den Kanonen wird gefeuert. Im Programmheft werden die „Défis“, die Herausforderungen, der einzelnen Nummern dargestellt. Gut möglich aber, dass mit dem Motto ebenfalls auf die Herausforderungen der jüngeren Vergangenheit angespielt wird.

„Kein einziger Winter in den letzten fünf Jahren, in dem es uns gelungen ist, zum Durchatmen zukommen“, sagt Francesco Bouglione in einem Mitte Januar 2020 erschienenen Bericht von "Le Parisien". Die Anschläge in Paris 2015 hatten Auswirkungen auf die Auslastung. Als die Zuschauer langsam wieder zurückkamen, sorgten die Proteste der Gelbwesten für einen erneuten Besucherrückgang. In diesem Winter nun bereiten langwierige Streiks bei der Bahngesellschaft SNCF sowie der für den Regionalverkehr im Großraum Paris zuständigen RATP Sorgen. Die Einwohner der französischen Hauptstadt sind in ihrer Mobilität eingeschränkt. Somit wird auch die Anreise zum Cirque d'Hiver erschwert. Ergebnis: Während der rund zehntägigen Feiertagssaison habe man 2019/20 rund 900.000 Euro verloren. Von den 1.600 Plätzen seien oftmals nur 150 besetzt gewesen, so Francesco Bouglione. Und das bei drei Vorstellungen am Tag.


Szene aus dem Finale

Vor 20 Jahren wurde mit „Salto“ begonnen, im Cirque d'Hiver wieder regelmäßig im Winter Circus zu spielen. „Défi“ ist somit ein Jubiläumsprogramm. Der prächtige Circusbau gibt den einzigartigen Rahmen. Ein verschwenderisches Lichtdesign setzt den Palast ebenso opulent in Szene wie das Geschehen in und über der Manege. Die Ohren werden vom Sound des fulminanten Orchesters verwöhnt. Pierre Nouveau sorgt als Dirigent für ein perfektes Zusammenspiel seines Ensembles. Michel Palmer ist als Monsieur Loyal unser bestens vertrauter Begleiter durch den Abend. Verzichten müssen wir in diesem Winter auf die Salto Dancers. Die ausgesucht hübschen Tänzerinnen in edlen Kostümen haben stets zwischen einzelnen Darbietungen für Glanz gesorgt. Ebenso bei Opening und Finale. Die Begrüßung übernimmt nun ein Bingo-Ensemble. Wie gewohnt, verbinden die Vertreter des Circus-Theater aus Kiew Tanz und Artistik in dynamischer Aufmachung. Im ersten Auftritt dienen zwei große Reifen am Boden sowie ein Luftring als Requisiten. Nach der Pause steht Artur Dudov mit kraftvoller Akrobatik am Chinese Pole im Mittelpunkt der mitreißenden Choreographie. Beim Finale sind die Bingo-Mitglieder tänzerisch sowie am Luftring vertreten.


Regina Bouglione, Evgeny Komisarenko, Asel Saralaeva

Eine deutliche Veränderung gibt es auch beim Tierprogramm. In den letzten Jahren sahen wir hier stets Elefanten oder Raubtiere. Diese sind 2019/20 nicht dabei. Nun präsentiert Regina Bouglione gewohnt elegant einen Sechserzug Kamele. Am Ende beweisen sich zwei Lamas als versierte Springer. Eine quicklebendige Gruppe von Pudeln hat Evgeny Komisarenko mit nach Paris gebracht. Die Hunde sind aufs Schönste herausgeputzt. Bei Sprüngen oder dem Laufen auf den Hinterbeinen sind sie mit vollem Einsatz dabei. Etwas ruhiger lassen es da die Katzen von Komisarenkos Ehefrau Asel Saralaeva angehen. Sie springen über weite Distanzen. Bei verschiedenen Tricks beweisen sie ihre Geschicklichkeit. So etwa beim Balancieren auf einer Spiegelkugel. Auf Hasenjagd begeben sich Without Socks. So weit, so gut. Probleme bereitet aber das fotografische Festhalten von Mensch und Tier. Nachdem der Selbstauslöser nicht so funktioniert, wie es das Trio will, muss ein Zuschauer ran. Der Spaß endet tödlich, ein kleiner Engel sorgt aber für das Happy End. Endlich mal wieder eine neue, kreative Clownsnummer. Die Russen überzeugen auf ganzer Linie. Sie sorgen sicht- und hörbar für Spaß beim Publikum. Zudem zeigen sie ihre Stepptanzeinlage sowie ein Konzert mit Schlagzeug, Gitarre und Akkordeon. Zusätzlich gibt es zwei kurze Szenen mit ihnen.


Victoria Bouglione, Daniel Golla, Konstantin Muraviev

Die Familie Bouglione ist nicht nur mit einer Tierdressur vertreten, sondern auch im artistischen Bereich. Victoria Bouglione lässt sehr charmant Hula Hoop-Reifen um ihren Körper kreisen. Als besonderen Effekt hat sie die High-Tech-Variante im Repertoire. Nämlich Ringe, die beim Rotieren bunte Muster entstehen lassen. Als Pianist am Flügel bleibt Sampion Bouglione zunächst am Boden, während Ehefrau Natalia an Strapaten in der Luft agiert. Dies etwa bei beeindruckenden Umschwüngen. Doch lange lässt Sampion seine Partnerin da oben nicht alleine. Zum Finale dieser herrlichen Liebesgeschichte fliegen beide gemeinsam über der Manege. Mit Fliegen hat auch der Auftritt von Daniel Golla zu tun. Der Showpilot aus Nordhessen überlässt die Kunstflüge einem Modellflugzeug. Virtuos bedient er die zugehörige Fernsteuerung. Diese einzigartige Flugshow sorgt immer wieder für große Überraschung. Artistik und Comedy verbindet bekanntermaßen Konstantin Muraviev. Unzufrieden mit seiner Figur, trainiert er bis zur Obsession am Rhönrad. Mit Erfolg. Doch dank eines kräftigen Schlucks aus der Bierflasche ist die Wampe mit einem Mal wieder da.


Trio Cappuccino, Duo A&A, Nuit Blanche

Wirklich bestens trainierte Körper können wir in zwei weiteren Darbietungen bewundern. Drei Bingo-Mitglieder zelebrieren als Trio Cappuccino Partner-Equilibristik. Verschiedene filigrane Figuren der hübschen jungen Damen werden mit Handständen gekrönt. Zudem gibt es Handvoltigen. Beim Duo A&A kommen dann auch die Zuschauerinnen auf ihre Kosten. Denn Adam und Anton sind äußerst muskulös gebaut. Auf einer Rundbühne in der Manegenmitte arbeiten sie ihre beeindruckende Hand-auf-Hand-Akrobatik. Poetisch aufgemacht sind die Jonglagen auf Einrädern des Duos Nuit Blanche. Als Requisiten dienen ihnen weiße Bälle, die zunächst wie Leuchtkörper an einer nostalgischen Laterne hängen. Zumeist jongliert Mikhail Ivanov im Solo. Besonders effektvoll sind aber die Passings zwischen ihm und Partnerin Elena. Rasant ist die letzte Nummer der Show. Sonny Gärtner und Petrica Anghel wagen als Duo Shock halsbrecherische Touren auf dem Todesrad. Das Seilspringen sowie der Salto auf der Außenseite des rotierenden Rades sind nur zwei der halsbrecherischen Stunts. Der Abend ist natürlich nicht zu Ende, bevor sich nicht alle Mitwirkenden ausgiebig vom Publikum verabschiedet haben. Das Finale wird hier gewohnt aufwendig zelebriert. Vor dem wirklich allerletzten Vorhang laden Without Socks noch einmal zum Fototermin.

Die Zeiten für den Circus sind wahrlich nicht einfach. In Frankreich haben in den letzten Jahren etwa der Cirque Pinder und auch der Cirque d'Hiver ihren Reisebetrieb eingestellt. Wie sich die Situation in Paris gestaltet, wurde eingangs dargestellt. Hoffen wir, dass die Familie Bouglione die aktuellen Herausforderungen meistert und es wieder aufwärts geht. Mit „Défi“ist auf jeden Fall erneut eine fulminante Show gelungen, die den klassischen Circus feiert. Hoffen wir, dass im Prachtbau an der Pariser Rue Amelot noch viele derartige Produktionen folgen.

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Text und Fotos: Stefan Gierisch